Unscharf

Neulich in der Badewanne, meinem Lieblingsort für Inspiration, habe ich auf YouTube einer Künstlerin zugehört, die über die Unschärfe in ihren Bildern philosophiert hat. Dabei sind bei mir gleich einige alte Muster hoch gekommen, die das Gesagte als „totaler Blödsinn“ abgetan haben. Aber Moment mal, wofür habe ich mir das gerade angehört? Ich habe gelernt, meine eigenen Muster zu hinterfragen, um sie zu verändern. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich seit 35 Jahren „scharfe“ Bilder mache. Es war eher ein Wettbewerb nach dem Motto: „Das schärfste Bild gewinnt“. Meine Assistentin hat die unscharfen Bilder meist ungefragt am Laptop gelöscht.

Was bringt es, immer scharf zu fokusieren? Mein erster Gedanke war, denn wir sehen mit unseren Augen alles scharf. Aber als ich genauer hinsah, wurde mir klar, dass es für mich auch eine Frage der Kontrolle ist. Wenn wir etwas scharf sehen, können wir es deutlich machen, wir können es identifizieren oder zumindest glauben wir das zu können. Unschärfe aber lässt uns zweifeln, lässt uns nicht klar sehen, lässt so viel mehr Raum für Interpretation, lässt UNS die Geschichte zum Bild erzählen, lässt uns viel mehr ins Gefühl gehen.

Ich habe es ausprobiert. Ich bin mit meiner Leica rausgegangen, bin aus meiner Komfortzone herausgetreten und habe bewusst unscharfe Bilder fotografiert. Das Ergebnis ist, wie eine neue Welt. Eine Welt ohne Kontrolle, ohne Bewertung, ohne Urteil. Nur ein Spiel aus Licht und Schatten, oder vielleicht ein Spiel aus Liebe und Achtsamkeit.